Was wäre, wenn es keine Möglichkeit gäbe, unsere gekauften [Kleidungsstücke] wieder loszuwerden?

Stell dir vor, du könntest nichts, was du jemals konsumierst, weitergeben oder wegwerfen. Stell dir vor, alles, was du besitzt und jemals besitzen wirst, bleibt in deinem Besitz. Für immer.

Wann würdest du damit aufhören, Produkte zu konsumieren?

Was wie ein dystopisches Gedankenexperiment klingt, ist eigentlich schon längst Realität: Nichts, was wir auf dieser Erde produzieren, löst sich in Luft auf. Organische Produkte wie Getränke und Speisen werden früher oder später wieder zu Biomasse. Aber was passiert mit den 23980485098 (Polyester-)Shirts, die produziert werden? Wo landet die (Nylon-)Jacke, wenn wir sie erst “gespendet” haben? Wer muss die Last von Milliarden von Kleidungsstücken tragen, die wir nicht mehr anziehen wollen?

Um diese Fragen zu beantworten, begeben wir uns in diesem Blogpost auf eine kurze, symbolische Reise und begleiten neu gekaufte Jeans auf ihrem weiteren Weg.

Secondhand und die Wegwerfgestellschaft: ein Gedankenexperiment. Jeans Stapel

Fakt 1: gekauft, verstaubt, aussortiert

Kommt leider viel zu oft vor: Wir kaufen ein Kleidungsstück, tragen es einmal oder auch keinmal und realisieren erst viel zu spät, dass wir dieses Teil eigentlich überhaupt nicht anziehen, geschweige denn brauchen. In unserem Beispiel handelt es sich um Jeans. Wir haben sie in einem namenhaften Fast-Fashion-Laden gekauft, uns schockverliebt (und um ehrlich zu sein auch sofort wieder schockendverliebt).

Zu Hause werfen wir noch einmal einen Blick auf unseren Kauf. Das T-Shirt ist okay, aber die Jeans? Komplett neu, fehlerfrei und doch nicht ganz das, was wir uns vorgestellt haben. Anstatt uns darüber Gedanken zu machen, wie wir unsere Jeans vielleicht doch noch an eine glückliche Neubesitzerin oder einen glücklichen Neubesitzer bringen können, bleibt sie erst einmal ein paar Monate unangetastet in unserem Schrank hängen. Dann kommt der Ausmistwahn und wir beschließen schließlich, dass auch diese Jeans gehen müssen.

Fakt 2: Altkleider spenden – eine gute Tat?

Auch jetzt ist es uns zu anstrengend, die ausgemisteten Kleidungsstücke mitsamt Jeans auf eine Verkaufsplattform zu stellen. Auf den Flohmarkt fahren? Oh nein, nicht so früh aufstehen. Verschenken und tauschen wollen wir auch nicht, denn die Kleidungsstücke müssen jetzt weg. Sofort. Wir fahren also zu einer karitativen Sammelstation und spenden drei ganze Säcke voll Altkleider. Super, Heute schon eine gute Tat begangen!

Fakt 3: Secondhand nach Afrika

Ab diesem Moment ist das Schicksal der Jeans aus unserer Hand. Sie könnte tatsächlich hier in Österreich eine:n neue:n Besitzer:in finden und unter den ca. 10% der Kleidungsstücke landen, die hier in karitativen Läden weiterverkauft werden. Viel wahrscheinlicher ist es aber, dass sie in riesigen Containern aus Österreich, aus Europa geschifft wird und irgendwann auf ihrer Reise in Afrika landet, um dort verkauft zu werden. In unserem speziellen Fall landet unsere Jeans in Accra, der Hauptstadt Ghanas. Auf dem Kantamanto Market, dem größten Secondhand-Markt Westafrikas, vielleicht sogar der Welt, wo sie eine von 15 Millionen Kleidungsstücken ist, die wöchentlich angeliefert werden.

Fakt 4: Die Kleidung des toten, weißen Mannes

Secondhand-Kleidung wird hier als Obroni W’awu verkauft: die Kleidung des toten, weißen Mannes. Auch unsere Jeans – und das, obwohl wir keine toten Weißen sind. Wir haben uns schlichtweg an unserem Kleidungsstück sattgesehen – oder pseudo-unbeabsichtigterweise einen Fehlkauf getätigt. (Anm. bzw. Frage am Rande: Fehlkauf – was ist das eigentlich?)

Fakt 5: über 50% ist quasi Müll

Zurück nach Accra, zurück auf den Kantamanto Markt. Unsere Jeans, nun Teil eines ganzen Kleiderpakets, wird von einem lokalen Händler gekauft, der keine Ahnung hat, was sich wirklich in der Ladung befindet. Nur 18% der darin enthaltenen Kleidungsstücke sind in einwandfreiem Zustand. Über fünfzig Prozent hingegen können kaum noch getragen werden, da sie entweder Risse oder riesige Flecken haben – zum Teil aber auch komplett zerstört sind. Auch Müll befindet sich unter der Ware. Bezahlt wurde aber trotzdem dafür. Kein Wunder also, dass nur 16% der Verkäufer:innen wirklich Profit machen.

Früher war das anders – in den 60er-Jahren konnte das Secondhand-Geschäft in Ghana durchaus lukrativ sein. Durch die Fülle an Kleidung und dem drastischen Qualitätsverlust in den letzten Jahren ist der Wert aber so zurückgegangen, dass sich wohl kaum noch ein:e Verkäufer:in wünscht, das Business weiterzuführen. Geschweige denn ihren Kindern zu vererben.

Und auch die lokale Textilproduktion soll in den letzten Jahrzehnten stark unter dem Massenimport von Secondhand-Kleidungsstücken gelitten haben und pro Jahr um 13% zurückgegangen sein.

Fakt 6: 15 Millionen Teile können unmöglich getragen werden

Trotzdem: Ein Teil der Kleidung – vielleicht sogar unsere Jeans – werden auf Kantamanto verkauft und finden so eine:n neue:n glückliche:n Besitzer:in. Aber 15 Millionen Kleidungsstücke pro Woche können unmöglich verkauft werden. Sie landen auf riesigen Müllhalten, womöglich dem Zuhause zahlreicher Menschen. Vielleicht werden sie verbrannt. Vielleicht bleiben sie aber auch einfach nur liegen und werden von weiteren Millionen anderer billig hergestellter, qualitativ minderwertiger Kleidung begraben.

Fakt 7: Wir müssen aktiv werden

Dies führt unsern Gedankenausflug wieder zurück zu uns, an den Anfang der Secondhand-Kette. Im Grunde genommen natürlich noch viel weiter zurück, an den Beginn eines jeden Kleidungsstücks und die Produktion unserer Jeans. Da dies hier aber den Rahmen sprengen würde, werden wir dieses Thema ein anderes Mal besprechen und uns jetzt noch auf uns selbst konzentrieren.

Was können WIR also tun?

  1. Das Wichtigste und Offensichtlichste gleich zu Beginn: weniger kaufen.
    Wir müssen bei jedem (Neu-)Kauf nachdenken, ob wir das Teil wirklich brauchen und wirklich tragen werden. Nicht nur heute oder morgen und in diesem Jahr. Sondern ein [Jeans-]Leben lang – und dieses möge bitte ewig dauern.
  2. Auf die Qualität achten.
    Vor allem bei neu gekauften Kleidungsstücken ist es notwendig, nicht nur auf besonders nachhaltige, sondern vor allem auf besonders langlebige und qualitativ hochwertige Teile zu setzen. Idealerweise achtet man beim Kauf auch darauf, Plastik so gut es geht zu vermeiden. Mehr dazu kannst du HIER lesen.
  3. Secondhand kaufen.
    Indem du deine Teile sowieso nicht neu, sondern secondhand kaufst, verwendest du nur etwas bereits Vorhandenes wieder und trägst sogar einen Teil dazu bei, dieses Kleidungsstück vor einem traurigen Schicksal zu bewahren.
  4. Bevor du deine Kleidung spendest: nachdenken und probieren.
    Kleidung spenden per se ist jetzt nicht zwingend etwas Schlechtes. Aber durch das In-Die-Tonne-Werfen verlierst du sofort den Überblick über den weiteren Lebensweg des Kleidungsstückes. Daher würden wir immer erst andere Alternativen empfehlen:
    * Vielleicht hast du Freund:innen/Familie, die sich über die Teile freuen würden?
    * Oder du fährst (gemeinsam mit deinen Freund:innen) auf den Flohmarkt und versuchst dort, die Teile zu verkaufen?
    * Vielleicht fotografierst du die ein oder anderen Stücke und stellst sie auf Verkaufsplattformen im Internet? Oder verschenkst sie dort?
    * In einigen Städten gibt es auch Verschenkläden. Du könntest auch hier Teile vorbeibringen.
  5. Upcyclen
    Teile, die du nicht so gerne trägst brauchen oft nur kleine Veränderungen, um deine Lieblingsstücke zu werden. Handelt es sich um zerrissene Teile oder Stücke mit Flecken, kannst du noch den Stoff verwenden und daraus zum Beispiel Scrunchies nähen.
  6. Putzlappen daraus machen
    Zumindest als Putzlappen kann das Leben vieler Stücke noch ein wenig verlängert werden.
  7. Wirklich Kaputtes lieber gleich entsorgen.
    Ja, es tut weh, Kleidung direkt auf den Müll zu werfen. Aber wenn das Teil in einem derart schlechten Zustand ist, dass du es für die oben genannten Möglichkeiten nicht mehr zu gebrauchen weißt, wird es auch niemand anderes mehr verwenden wollen. In diesem Falle daher bitte auf keinen Fall in die Altkleidertonne. Lieber in den Restmüll als auf die Kleidermüllberge von Ghana oder anderen Ländern.

Es wäre natürlich unmöglich, nie mehr auch nur irgendetwas entsorgen zu können. Spätestens nach einem Jahr würden die meisten unserer Wohnungen im Müll versinken. Aber vielleicht denkst du beim nächsten Kauf an dieses Gedankenexperiment und daran, ob du dieses Ding auch noch in zehn Jahren gebrauchen würdest, wenn du wirklich nichts wegwerfen könntest.

Dogdays of Summer Vintage Store: Eine Brand gegen die Wegwerfgesellschaft.

Quellen:
Brooks, Andrew: Clothing Powerty. The Hidden World of Fast Fashion and Second-Hand Clothes.
Frazer, Garth: Used-Clothing Donations and Apparel Production in Africa. In: https://inside.rotman.utoronto.ca/ (zuletzt aufgerufen am 15.09.2020)
Ricketts, Liz: Dead White Man’s Clothes. In: https://www.fashionrevolution.org/dead-white-mans-clothes/ (zuletzt aufgerufen am 15.09.2020)
Ricketts, Liz / Skinner, J. Branson: Dead White Man’s Clothes. In https://atmos.earth/ghana-kantamanto-clothing-waste-problem/ (zuletzt aufgerufen am 15.09.2020)
Sator, Andreas: Die andere Seite des Shoppingwahns. Mein Dilemma mit den Altkleider-Containern. In: https://www.derstandard.at/story/2000091208035/die-andere-seite-des-shoppingwahns-mein-dilemma-mit-den-altkleider (zuletzt aufgerufen am 15.09.2020)

Credits:
Idee, Text: Diana Ranegger | Photos: Waldemar Brandt, Diana Ranegger